Im zweiten Teil des Interviews gibt Renate Haidinger, Vorsitzende der Brustkrebs Deutschland e.V., Einblicke in die neuesten Entwicklungen der Brustkrebstherapie. Sie spricht über die individualisierte Behandlung und den aktuellen Stand der Forschung. Außerdem geht es darum, wie Betroffene mit der Diagnose umgehen und welche Unterstützung sie erhalten können.
Wie hat sich die Behandlung von Brustkrebs in den letzten Jahren verändert und welche neuen Therapien gibt es?
Renate Haidinger: In den letzten Jahren hat sich eine grandiose Verbesserung bei den Therapiemöglichkeiten entwickelt. Man weiß nun, dass es verschiedene Arten von Brustkrebs gibt, die jeweils speziell behandelt werden können. Es gibt eine Vielzahl neuer Medikamente, die einerseits speziell bei den verschiedenen Arten von Brustkrebs eingesetzt werden können und Medikamente, die auf individuelle Marker des jeweiligen Typs gehen und dadurch ein sehr hohes Ansprechen auf die Therapie ermöglichen. In vielen Fällen wird die Behandlung auch vor der Operation begonnen, wodurch man am Tumor sehen kann, wie gut die jeweilige Therapie wirkt. In vielen Fällen sind der Tumor und Tumorzellen bei der Operation nicht mehr nachweisbar. Das nennt man dann eine pathologische Komplettremission, was für die Prognose äußerst günstig ist. Sollte doch noch ein Tumorrest übrig sein, gibt es mittlerweile wiederum Medikamente, die der Operation folgen können und dadurch das Risiko eines erneuten Auftretens der Erkrankung stark vermindern können. Die heutige Brustkrebstherapie ist eine personalisierte Medizin, die genau auf den jeweiligen Tumortyp zugeschnitten ist und daher sehr viel effektiver ist.
Sie kommen mit zahlreichen Betroffenen in Kontakt. Wie gehen die meisten mit der Diagnose um?
Renate Haidinger: Die Diagnose zieht vielen erst einmal den Boden unter den Füßen weg. In Gesprächen mit uns können wir ihnen verständlich machen, dass die Wahrscheinlichkeit die Erkrankung zu Überleben noch nie so groß war. Wir, die beraten, haben selbst eine Brustkrebsdiagnose hinter uns, was häufig sehr viel Mut und Zuversicht vermittelt. Wir können anhand des Befundes erklären, warum eine entsprechende Therapie empfohlen wurde, können Tipps gegen Nebenwirkungen geben und wir haben die Zeit zuzuhören. Wir begleiten so lange wie nötig und sind zusätzlich zum medizinischen Team, Ansprechpartner für aufkommende Sorgen und Nöte. Gerne vermitteln wir bei Bedarf auch Organisationen und Selbsthilfegruppen in ihrer Nähe.
Wie sieht die Forschungslage aktuell aus, und woran wird in Bezug auf Brustkrebs derzeit intensiv geforscht?
Renate Haidinger: Die Forschung konzentriert sich im Moment stark auf drei Themen:
- Wie sehr kann bei den Therapien deeskaliert werden – also eine mögliche Reduktion des Umfangs bzw. der Intensität einer Therapie erreicht werden, um so schonend wie möglich zu therapieren und dennoch so effektiv wie nötig zu sein?
- Welche bedeutsamen Marker gibt es an Krebszellen und welche Medikamente können dafür entwickelt werden?
- Kommt es überhaupt noch auf die Krebsart an oder ist der Marker entscheidend für die Therapie (agnostische Therapie)?
Welche Rolle spielt die Genetik bei Brustkrebs und gibt es spezielle Tests, um genetische Risiken festzustellen?
Renate Haidinger: Hauptsächlich werden die Gene BRCA1 und BRCA 2 getestet, zusätzlich mit einer Vielzahl weiterer Gene. Beim BRCA 1Gen liegt das Risiko einer Erkrankung zwischen ca. 55 und 70 Prozent. Dieses Gen ist aber auch bedeutend für ein eventuelles Risiko an Eierstockkrebs zu erkranken. Für Männer steigt durch dieses Gen auch das Risiko einer Prostataerkrankung (7-26%). Beim BRCA2 Gen gibt es ebenfalls ein erhöhtes Risiko für eine Erkrankung. Wenn in einer Familie jemand bereits an Brustkrebs erkrankt ist und es wurde eines der Gene gefunden, können Familienmitglieder sich in entsprechenden Zentren beraten und testen lassen und würden bei positiver Testung oder einem stark erhöhten familiären Risiko ein intensiviertes Früherkennungsprogramm angeboten bekommen.
Gibt es im Rahmen Ihrer Arbeit eine Geschichte, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Renate Haidinger: Es gibt so viele unterschiedliche Geschichten, wie es Betroffene gibt – und alle sind sie sehr emotional. Es gibt Patientinnen, die durch ihre Erkrankung ihr Leben komplett umgekrempelt und beruflich etwas Neues angefangen haben. Es gibt aber auch solche, bei denen die Beziehung oder Ehe zerbrochen ist. Speziell in dem Fall, dass die Erkrankung voranschreitet, kommen viele neue Herausforderungen und Schwierigkeiten dazu. Betroffene müssen dauerhaft in Therapie bleiben und die Therapie muss immer wieder umgestellt werden. Auch der Umgang mit dem persönlichen Umfeld wird dann häufig sehr schwierig. Es ist aber auch so, dass diejenigen, die es schaffen den Krebs zu überwinden oder sich ein lebenswertes Leben mit der Diagnose einrichten, in uns ein Glücksgefühl auslösen. Auch die vielen Danksagungen, die wir erhalten, freuen uns und bestärken uns einmal mehr in unserer Arbeit.
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Hinweis der SBV: Jede Krebsart bietet die Möglichkeit, einen Antrag auf Schwerbehinderung beim Versorgungsamt zu stellen. In der Regel wird eine Schwerbehinderung unter einer Heilungsbewährung anerkannt. Dies sichert den Betroffenen wichtige Nachteilsausgleiche, die gerade im Berufsleben eine wesentliche Unterstützung darstellen können. Die SBV steht dabei nicht nur bei der Antragstellung zur Seite, sondern begleitet Betroffene auch in wichtigen Prozessen wie dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM).
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